Falkos Sturz

12. September 2023 by Sascha

Falko gähnt. Er hängt noch kopfüber in seinem Kasten. Zeit loszufliegen, denkt er sich und
streckt seine Flügel aus. Die Fledermaus streckt den Kopf aus ihrem Quartier und schaut
sich in dem Schrebergarten um. Der neue Besitzer hat alles verändert: Büsche und wilde
Sträucher mussten seinen penibel angelegten Hochbeeten weichen, abgedeckte Beete
stehen, wo vorher leckeres Unkraut blühte, junge Kirschloorbeerpflanzen säumen den
Zaun. Sie sollen bald groß und immergrün den Blick in den Garten erschweren. Am
schlimmsten aber sind die Solar-Lichterketten. An der Laube und am Rosenbogen hängen
weiße Lampignons, die sich tagsüber aufladen, um dann die ganze Nacht hindurch zu
leuchten. Falko würde am liebsten umziehen, aber es ist nicht so einfach, eine neue
Bleibe zu finden. Das neue, nächtliche Licht verwirrt ihn. Letzte Woche wollte er tagsüber
losfliegen, weil er dachte, das Licht der Sonne sei nur das Licht der Lampignons und in der
Woche davor schlief er mitten in der Nacht wieder ein, weil er dachte, es sei Tag. Auch
heute fühlt er sich nicht wirklich fit, aber er ist hungrig. Los geht’s, denkt er und versucht
sich die dickste Motte zu schnappen. Wieder blendet ihn das Licht und anstatt die Motte
zu erwischen, fliegt er mit Karacho gegen den Giebel der Gartenlaube. Bewußtlos fällt er
zu Boden.

Sogleich versammeln sich aufgeregt die nachtaktiven Tiere um ihn herum. „Ist er tot?“,
fragt der Gartenschläfer. „Nein, zum Glück nicht“, antwortet der Igel. Der Marder ballt die
Fäuste und schimpft auf den Schrebergärtner. Während der Hamster sich über Falko
beugt und seine Stirn kühlt, rufen die Waschbären entschlossen: „Wir machen das schon!“
Sogleich flitzen sie Richtung Rosenbogen und reißen im nächsten Moment die
Lampions ab. Die anderen Tiere jubeln und klatschen Beifall. „Endlich wieder unsere
dunkle Nacht!“, freuen sie sich. Auch die andere Lichterkette wird vernichtet. Nun leuchten
nur noch die glitzernden Sterne und eine schmale Mondsichel. Langsam erholt Falko sich.
Seine Stirn schmerzt, aber die wohltuende Dunkelheit umhüllt ihn beruhigend. Als die
Morgendämmerung einsetzt, ziehen sich die Tiere in ihre Verstecke zurück. Alle sind
hoffnungsvoll, dass dies ein erholsamer Tag wird und die Nächte ab jetzt wieder
nachtschwarz sein werden.

Der Schrebergärtner kommt am nächsten Tag erst gegen Abend in seinen Garten. Als es
dunkel wird, bemerkt er zum ersten Mal die Sterne am Nachthimmel. Er ist fasziniert und
legt sich in dass Gras, um besser in den Himmel gucken zu können. Was für ein Glück ich
doch habe, denkt er und schläft ein, während Falko und seine Freunde zufrieden ihre
Nacht genießen.

Nina Brünner, April 2023


Nina Brünner hat mit ihrem Text „Falkos Sturz“ den ersten Platz unseres MicroAmberFiction Schreibwettbewerbes gewonnen.

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