Das chilenische Sternentagebuch – ein Resümee

24. August 2022 by Karin

Die intensive Aufarbeitung der gesamten Palette an Eindrücken und Erkenntnissen, die wir in den Wochen unseres Aufenthalts in Chile gesammelt hatten, und in Form dieses chilenischen Sternentagebuchs zum Leben erweckten, haben mir die Astronomie und die Astrofotografie in einer ganz anderen Dimension näher gebracht. Es geht um mehr, als sich an einen dunklen Ort hinzubewegen, die Technik einzusetzen und mit berechtigtem Stolz seine digitalen Trophäen nach Hause zu bringen, sich ihrer Schönheit zu erfreuen und mit Anderen zu teilen. Tourismus baut darauf, den Kunden Erlebnisprodukte zu verkaufen, sozusagen in Erlebniskonserven mit Aufreißlasche. Dafür ist San Pedro de Atacama ein gutes Beispiel.

Aber er distanziert uns von der Substanz und erlaubt uns keinen Blick hinter die Kulissen, die das Gesamtwerk ausmachen. Aus dem Produkt hinauszutreten und zu erkunden, wo und wie es eingebettet ist, hilft uns, die Menschen, die involviert sind, besser zu verstehen und den romantisierenden (Urlaubs-)Blick zu relativieren. Als Individualreisende kann ich somit eigene Akzente setzen und mit den Menschen, die von und mit der Astronomie leben, in die Kommunikation gehen, um ihre Arbeit und ihre Sicht auf unseren Planeten in diesem noch sehr geheimnisvollen Universum verstehen zu lernen. Dieses Privileg nutzend, zeigte Lutz und mir die vielen Facetten, die mit dieser Arbeit einhergehen: den Enthusiasmus, den Erfindergeist, die Begeisterung, die Geduld, die Sachkenntnis, das Durchhaltevermögen, aber auch Existenzängste.

In der Astrofotografie liegen bekannterweise die beiden ‚Fs‘, Frust und Freude, angströmeng beieinander. Dass Astrofotografen und natürlich auch Astronomen mit ihrem Equipment immer außerhalb von bewohnten Gegenden sich aufhalten müssen, ist keine Neuheit, aber wie sehr die rasante Ausbreitung der Lichtverschmutzung mittlerweile sogar die heiligen Grale der Astronomie bedrohen, gerade in einem Land, das für die Astronomie wie geschaffen zu sein scheint, hat uns nicht nur erstaunt, sondern erschreckt. Für Lutz und mich wurde es zu einem weiteren Gradmesser, wie sich das Anthropozän bereits darstellt.

Zudem wurden die Interessenskonflikte, auch durch beharrliches Hinterfragen, deutlich, und manchmal auch mit einem Hauch von … Resignation? … beantwortet. Diese Konflikte resultieren zum einen aus der Auseinandersetzung mit der Bergbaulobby, gekoppelt mit dem Resourcenhunger der Industrienationen, für die die Astronomie eher untergeordnet ist. Damit verbunden, sah ich auch das Erbe des Cristóbal Colón und der sich anschließenden Kolonialzeit, die in den Gesprächen, mit den Chilenen, denen ich begegnete, immer noch präsent ist. Es wurde zu einer Realität, anfassbar.

In Chile wird die Frage, welchen Stellenwert die Astronomie zukünftig haben wird, noch beantwortet werden müssen. Gleichzeitig müssen auch wir, hier in Europa, uns dieselbe Frage stellen und an die eigene Nase fassen: Wie wollen wir mit dem Menschheitserbe weiterhin umgehen, unsere Umwelt und damit einhergehend unsere Gesundheit, den Artenschutz und ergo die Lebensmittelproduktion durch Vermeidung von Lichtverschmutzung schützen und sicherstellen? D. h., dass wir nicht von Anderen mehr Bewusstsein und Umsetzung von Ideen erwarten dürfen, als wir es selbst zu leisten gewillt sind, obwohl uns mehr Optionen zur Verfügung stehen als vielen Chilenen.

Mehrere Wochen nachdem ich diesen Beitrag beendet hatte, sendete mir Dr. Malcolm Smith vom Cerro Tololo Interamerican Observatory Mitte Oktober 2019 in einer E-mail folgende Nachricht: ‚A few weeks ago I was one of 12 people who received the Medal of the City of La Serena (on the 475th anniversary of the foundation of this community). I was quoted in one newspaper as having indicated that the clear skies of Chile are a world treasure…’1

Dieses Umdenken ist auch für Europa wünschenwert. Auch wenn wir nicht die spektakulären Konstellationen der südlichen Hemisphäre bewundern können, so ist auch unsere Perspektive auf die Milchstraße ein Menschheitserbe, die wir für uns und die folgenden Generationen wieder öffnen müssen.

Was bringt das also? Worin liegt der Sinn, sich in der Kälte, weit weg von der sogenannten Zivilisation mit einer Kamera aufzubauen? werde ich oft gefragt. Warum beschäftigst du dich mit Astronomie und Astrofotografie? Du könntest doch viel bequemer an einem Strand liegen und Cocktails genießen.

Für mich liegt eine wichtige Erkenntnis z. B. in den Worten des englischen Physikers Professor Brian Cox, der sagte:

‘Our life is finite and might not actually mean anything in the big scheme of things. And that’s what cosmology is beginning to tell us: The meaning of life is to enjoy it while you can, and value it more.’2  

We Asked Professor Brian Cox About Life, the Universe, and Everything – vice.com

Und genau das erlebten wir beim Anblick der Milchstraße; manchmal auch mit einem Glas Pisco Sour in der Hand.

Die Milchstraße – Cancana – Foto: Lutz Dörpmund
Der Mond, die Venus, Regulus, Merkur und ein Drache – Foto: Lutz Dörpmund

Quellennachweis:

  1. E-mail von Dr. Malcolm Smith, vom: 17.10.2019
    z.K. die Observatorien der AURA erhielten nach dem 1. Oktober 2019 nach einiger organisatorischer Umstrukturierung neue Bezeichnungen: ‘- into what is now known as the “NSF OIR Laboratory” (i.e. the “National Science Foundation Optical-Infrared Laboratory”).  This officially unifies various parts of the NSF activity in the USA and Chile, i.e. the Large Synoptic Survey Telescope (being constructed and assembled in Chile, Gemini North and South (in Hawaii and Chile), Kitt Peak National Observatory (in Arizona) and the Cerro Tololo Interamerican Observatory.’
  2. We Asked Professor Brian Cox About Life, the Universe, and Everything – vice.com
    Unser Leben ist endlich und es mag, ganz nüchtern betrachtet, nicht viel bedeuten. Aber die Kosmologie beginnt, uns eines zu lehren: Der Sinn des Lebens besteht darin, es zu genießen, solange Du kannst, und es zu wertschätzen. (abgerufen: 20190526, um 17:35h)

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