Das chilenische Sternentagebuch – Dr. Malcolm Smith

7. August 2022 by Karin

Dr. Malcolm Smith zu beschreiben ist einfach: höflich, sehr zuvorkommend, ein Visionär, ein Astronom aus Fleisch und Blut, ein optimistischer Realist, ein ambitionierter Verfechter des bewussten Einsatzes von künstlichem Licht.

Dr Malcolm Smith – Juli 2018 – Lutz Dörpmund

Seine Vita ist beeindruckend.1 Geboren wurde er in Tavistock, England, im Jahr 1942, im Geburtsort von Sir Francis Drake. Dr. Malcolm Smith ist zur Zeit als Astronom Emeritus am CTIO (Cerro Tololo Inter-American Observatory) tätig. Von 1993 bis November 2003 war er Direktor am CTIO und war verantwortlich für die Aktivitäten von NOAO-Süd (US National Optical Astronomy Observatory). Er war in seiner Schlüsselstellung als Direktor und Repräsentant der AURA2 (Associated Universities for Research in Astronomy) maßgeblich federführend bei der Verabschiedung des Astronomy Law durch den chilenischen Kongress. Der Kontrolle und Eindämmung der Lichtverschmutzung, auf lokaler und internationaler Ebene, widmet er sein spezielles Engagement. Das chilenische Lichtverschmutzungsgesetz, an dessen Formulierung er maßgeblich beteiligt war, dient dem Zweck, Regulierungen mit lokalen Behörden in Kraft zu setzen, um eine weitere Verschmutzung der Region IV (Región de Coquimbo mit der Hauptstadt La Serena) einzudämmen. Seine Führungsposition im Kampf gegen Lichtverschmutzung ist weltweit anerkannt. Am 29. August 2012 erhielt er z. B. den IDA3 David Crawford Lifetime Achievement Award in Beijing4 in Anerkennung seiner intensiven Arbeit zur Verringerung der Lichtverschmutzung. Im August 2016 wurde er zum Founding Lifetime Member of the International Dark Sky Association ernannt.

Karte:     http://www.viviendochile.cl/
La Serena/Coquimbo – Chile

Im Jahr 2016 fuhren Lutz und ich nach Chile, um den prächtigen südlichen Sternenhimmel zu bewundern und einmal im Leben die Milchstraße in ihrer ganzen Schönheit zu erleben, unsere Sternenstadt, unser wirkliches Zuhause. Wir hatten in Vorbereitung auf die Reise Touristentickets für A.L.M.A, das VLT und Cerro Tololo online bestellt. Aus Tololo kam die erste Zusage. Die Tickets muss der Astrotourist in La Serena auf dem ‚Berg der Astronomen‘ (wie ich es nenne) abholen. Als Benutzerin eines Rollators nahm ich den Hintereingang (da ist  eine Rampe) und kam somit an Dr. Malcolm Smiths Büro vorbei. Interessiert lasen wir die vielen Zeitungsausschnitte, die den Außenbereich seines Büros zierten. Ein freundlicher, älterer Herr öffnete die halb offen stehende Tür und bat uns herein. Es folgte ein zweistündiger Plausch über Astronomie, die Welt und Light Pollution.

Zeitungsausschnitte – Lutz Dörpmund

Zuhause angekommen bereiteten wir unseren Planetariumsvortrag 2017 für die Olbers-Gesellschaft vor und bei der Recherche erfuhr ich, wer er ist. Für unsere Sternentour 2018 in Chile fragte ich um einen Interviewtermin an, wohlwissend, wie beschäftigt er ist. Die Überraschung kam: seine Zusage. Das folgende Interview führten wir am 7. Juli 2018 im Headquarter des CTIO in La Serena in Dr. Smiths brandneuem Büro, denn für das LSST wurde auch auf der Verwaltungsebene umgebaut.

Hier nun das Interview:

Wann entschieden Sie sich, Wissenschaftler und besonders Astronom zu werden?

Im Alter von vielleicht sieben Jahren las ich den Comic Dan Dare – Pilot of the Future. Und dieser Dan besuchte alle möglichen Orte. Ein Ort namens Venus kam darin vor, aber ich konnte ihn nicht auf einer Karte Englands finden. Er musste also woanders sein. Wir hatten glücklicherweise eine Enzyklopädie zuhause und irgendwie auf diese Art und Weise begann es. Ich war neugierig geworden. Als ich ca 14/15 war, wurde ich gefragt, wie ich bloß meinen Lebensunterhalt verdienen wolle, doch wohl nicht als Astronom. Niemand bezahlt dich, damit du in den Himmel starren kannst, war das Argument. Die einzigen Menschen, die mich unterstützten, waren meine Mutter, mittlerweile verwitwet, und mein Physiklehrer, der mir am Wochenende zwei Stunden Extraunterricht gab. Und das half mir, zur Universität zu gehen. Als ich im zweiten Jahr an der Universität war, wurde mein Plan, Astronomie zu studieren, als unrealistisch infrage gestellt. Ich sollte langsam ernsthaft an meine Zukunft denken.

Dan Dare

In dem Jahr gab es ein Stipendium, um in den USA zu studieren. Eines Tages würde ich vielleicht nach Frankreich gehen, dachte ich damals, aber selbst Frankreich war damals schon für mich weit weg, aber die USA? … In dem Jahr, inspiriert von einem meiner Professoren an der Universität [University of London, Kings College, Anm. d. Verf.], Maurice Wilkins – einer von dreien, die den Nobelpreis erhielten [1962 zusammen mit Watson und Crick, Anm. d. Verf.] entschied ich mich zunächst für die Krebsforschung und ging zum Roswell Park Memorial Institute for Cancer Research für den Sommer.

Ich kenne Menschen, die von Carl Sagans Talent, uns Geschichten über das Universum zu erzählen, tief beeindruckt sind. Er nahm uns mit auf eine epische Reise und verführte uns, seine Bücher zu lesen und seine Serie COSMOS anzusehen. Einige begannen, Astronomie zu studieren. Bitte beschreiben Sie Ihre Motivation. Was beflügelte Sie, neben der Unterstützung durch Ihre Mutter und Ihren Physiklehrer?

Das war in Chicago. Im dritten Monat in Buffalo wurde mir gesagt, dass wir ein 99-Tage-Ticket für 99 US$ kaufen konnten, um mit den Greyhounds durch die gesamte USA zu reisen. Ein Freund fragte mich, ob ich zu ihm nach Chicago übers Wochenende kommen wolle und ob ich schon einmal in einem Planetarium gewesen sei. In Chicago gäbe es ein sehr bekanntes Planetarium [Adler Planetarium, Anm. d. Verf.]. Ich hatte noch nie davon gehört. Wissen Sie, dieses PLanetarium veränderte schon mein Leben. Auch von anderen Menschen, ohne dass sie es zu dem Zeitpunkt realisieren. Es interessierte mich und ich wollte damit weitermachen. Ich fuhr mit dem Bus nach Kalifornien auf der Route 66. Da sollte es berühmte Observatorien geben. Ich wollte unbedingt eines von denen besuchen. Ich ging zum Büro, so wie hier, des größten Teleskops der Welt, das 200 inch (5,1m, Anm. d. Verf.) Palomar Teleskop, und da ich offensichtlich ein Tourist war, sollte ich mich in einen Raum setzen und ein älterer, grauhaariger Herr unterhielt sich mit mir dort 1½ Stunden lang. Nachdem er gegangen war, sagte ich zu der Frau an der Rezeption: ‚Wow, der Touristguide weiß so viel. Das war richtig faszinierend.‘ Sie sagte: ‚Das war kein Touristguide. Das war der Direktor von Mount Palomar.‘ Hätte ich das gewusst, ich wäre in Panik geraten. Somit war ich vollkommen entspannt. Und so begann alles.

Wann hatten Sie das erste Mal die Möglichkeit, ein Teleskop zu benutzen?

Meine erste professionelle Observatoriumsarbeit, d. h. in der Nacht war auf dem Pic Du Midi. Das ist an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien. Ich hatte in Manchester am Fabry-Pérot-Interferometer5 gearbeitet. Das ist ein Instrument, das einen großen Teil des Himmels abbilden kann und sehr lichtempfindlich ist. Es hat eine hohe Auflösung. Damals wurde es noch nicht viel  benutzt und niemand arbeitete damals in zwei Dimensionen.6 Aber ich baute dieses druckabgestimmte Fabry-Pérot-Interferometer und bekam die Möglichkeit, es auszuprobieren. Ich bewarb mich dann mit dem fertiggestellten Interferometer für Observationszeit an einem Observatorium in Ägypten. Für einen Anfänger war das eine gute Gelegenheit und ich nutzte jede Chance. Aber Israel entschied, dass das nicht der Ort für meine Dissertation sei. Der israelische Angriff auf Ägypten begann zwei Wochen, bevor ich abflog. Ich war in meinem Abschlussjahr und brauchte für meinen PhD Forschungsdaten für die Dissertation. Verzweifelt suchte ich nach einer anderen Möglichkeit und bekam sie in Norditalien. Ich war erleichtert, als nach dem Auspacken noch alles funktionierte. Meine Beobachtungszeit von drei Tagen wurde durch starke Bewölkung torpediert. Ich war der Verzweiflung nah. Ein dort tätiger Astronom machte mir das Angebot, mein Equipment auf den Primärspiegel des Teleskops zu setzen und dann könnte ich immer die zweite Hälfte seiner Nächte haben. Der Mond störe ihn und das könne er nicht brauchen. Und so bekam ich die Observationsdaten für meine Dissertation. Ich war so dankbar.

Was in unserem Sonnensystem versetzt Sie in Ehrfurcht?

Dazu muss ich ein wenig ausholen. Das war, nachdem ich mein PhD hatte und England verließ. Damals war es ziemlich einfach, einen guten Job an einem der größeren Observatorien zu bekommen. Ich ging in die USA zum Kitt Peak National Observatory, in der Sonora-Wüste, südwestlich von Tucson, Arizona.

Zusammen mit einem Kollegen, einem Australier, John Graham, bekam ich die Gelegenheit nach Chile zu gehen. Ich wusste damals nicht genau, wo das war. John ging zuerst nach Chile und ein Jahr später fuhr ich dorthin. John nahm mich mit zum Cerro Tololo, auf den Gipfel. Ich hatte mich mit John bereits über Lichtverschmutzung unterhalten und fragte ihn danach. Damals konnten wir die Milchstraße sogar in La Serena sehen. So hatte ich sie noch nie gesehen, schon gar nicht in England oder Chicago. Bevor wir also an der letzten Kurve vor dem Gipfel ankamen, sah ich ein Licht. Ich war wirklich tief beeindruckt. Ich sah, wie dieses Sternenlicht vom Boden aufstieg. Ich wusste jetzt ja, wie die Milchstraße aussah, aber John hatte doch gesagt, es gäbe dort keine Lichtverschmutzung und ich fand das nicht besonders amüsant. John begann zu lächeln. Als wir auf dem Gipfel ankamen, verstand ich es: wir sahen das Zodiakallicht. Obwohl ich bereits seit zwei Jahren auf professionellen Observatorien arbeitete, hatte ich so etwas noch nie gesehen. Für die Arbeit mit dem Fabry-Pérot brauchte ich nicht die dunkelsten Nächte, ich konnte auch mit Mondlicht arbeiten. Jetzt können Sie sich vorstellen, was das für ein Himmel war. Das war wirklich aufregend.

Ein Meilenstein in meiner Karriere war mein Studium der Beobachtungsergebnisse des russischen Astronomen Benjamin Markajan7, besonders seine Abhandlungen zu Quasaren. Ich begann damals, mich intensiv mit Rotverschiebungen zu beschäftigen und fragte mich, ob ich nicht auch so etwas wie Markajan machen könne. Wissen Sie, ich hatte die US-Technologie, also einen gewissen technologischen Vorteil, und dachte mir, dass es einen Versuch wert sei. Mir stand das Curtis-Schmidt Teleskop, 24 inch (0,61m, Anm. d. Verf.) hier auf Tololo zur Verfügung. Ich stellte eine Observationsanfrage und wollte eines der schmalsten Prismen8 benutzen, um zu sehen, ob ich damit überhaupt etwas erreichen konnte, denn das war das, was Markajan tat. Meine Anfrage wurde mit dem Argument abgelehnt, dass Prismen, wie ich es einsetzen wollte, bereits angewendet worden waren. Um Quasare zu erforschen, bräuchte ich große Teleskope, z. B. das 4m-Teleskop [Dr. Smith bezog sich vermutlich auf das 4.0 m (158 in) Victor M. Blanco Telescope, Anm. d. Verf.], das hier gebaut werden sollte, mit einem Spektrometer und einer hohen Auflösung. 100 inch und größer sind notwendig. Quasare seien einfach zu lichtschwach, sie seien zu weit entfernt. Dr. Victor Blanco9 war damals hier Direktor [1967 – 1981, Anm. d. Verf.]. Er war ein Amerikaner: Nord, Mittel und Südamerika. Ich bin nie jemandem davor oder danach begegnet, der es verstand, in diesem Beruf in Ländern, wie diesen, gut zu leben, ganz besonders in Ländern wie Chile, weil es nicht leicht war in den kommenden Jahren. 1973 gab es hier einen ernsthaften politischen Konflikt. Ich machte mir große Sorgen. Meine Frau ist Chilenin.

Nun, mit Victor Blanco hier bekam ich die zweite Hälfte der Nacht. ‚Probier aus, was möglich ist.‘ sagte er mir. Was damals noch nicht viele benutzten, waren photographische Platten mit einer sehr feinen Körnung, die sehr lichtempfindlich für 3 HA war. Ich war mir sicher, dass ich immer lichtschwächere Objekte finden konnte, wie es andere vor mir taten incl Markajan. Ich versuchte es. Ich fokussierte einige bekannte, kürzlich entdeckte, helle Quasare mit einer Rotverschiebung von 2. In jenen Tagen schien das riesig zu sein. Ich nahm das Spektrum, ging hinunter zum Entwicklungsraum, sah mir die Platte an und begriff, dass hier etwas anders war, weil einer der Punkte auf dem Spektrogramm hell war, der andere lichtchwach. Der eine auf der linken Seite wurde immer lichtschwächer. Der helle könnte eine Lyman Alpha Emissionlinie sein und der gelbe Oxygen 6. Ich hatte damals noch kein iPhone, also arbeitete ich heraus, was es war. Das brachte mir viele Freunde.  

An welchen der Teleskope, die wir heute auf Tololo vorfinden, arbeiteten Sie mit?
Bitte beschreiben Sie uns, wie es hier aussah, als Sie hier ankamen, und welche Herausforderungen Sie meistern mussten.

Als ich hier ankam, begann man gerade den Boden vorzubereiten, sozusagen. Eine persönliche Herausforderung? …. Ich war oben in der Primärfokuskabine (prime focus cage) und sah auf den Primärspiegel, als ich plötzlich ein Geräusch hörte und es um mich herum zu vibrieren begann. Ein Erdbeben. Der Kollege, der das Teleskop bediente, sagte nur: ‚Malcolm, ich kann dich nicht da rausholen. Ich hau jetzt ab.‘ Es hätte viel zu lange gebraucht, mich dort herauszuholen. Das einzige, ganz ehrlich, was er machen konnte, war, sich selbst zu retten. Es war eine rationale Entscheidung, das war nicht eigennützig, es war nicht feige. Er ging und ‚I rocked and rolled‘ (Original-Ausdruck Smith).

Wenn ich mich recht erinnere, erlebten Sie das ‚first light‘ hier auf Tololo.
Bitte beschreiben Sie, was Ihnen ‚first light‘ bedeutet.

‚First light‘ ist … (eine längere Pause und ein Lächeln) … ist ein sehr spezieller Moment. Ich war hier, ich war allerdings nicht am Primärfokus, als sie das erste Licht empfingen, aber ich erlebte das Teleskop sehr oft in seiner frühen Phase, bevor es in den vollen Betrieb ging. Aber sogar Menschen, wie Victor Blanco, sagten, du musst mit allem rechnen, vieles kann schiefgehen in den ersten Monaten. Aber so war es nicht. Es lief alles reibungslos. Ich hatte am Kitt Peak gearbeitet und hier war dieses Teleskop, welches dazu konzipiert worden war, noch viel bessere Bilder zu liefern. Wir mussten auf jeden Fall unsere Hausaufgaben machen. Wir hatten sehr gute Leute hier, viele junge Leute. Ältere Astronomen wollten nicht nach Chile kommen. So wurde die Astronomie in Chile in jenen Tagen betrachtet. Das war gut für uns, sechs junge Leute – einer war ich – wir bekamen Jobs hier. Woanders hätten wir kaum eine Chance gehabt. Wir mussten Fertigkeiten im IT-Bereich entwickeln, die es vorher nicht gab. Schließlich gründeten wir eine Computer-Support-Group. Das Ding, an dem wir arbeiteten, arbeitete mit 32K.

Sie sprachen Victor Blanco an … .

Oh ja, Victor Blanco hatte die Leitung hier und er schaffte einen Balanceakt. In den politischen Wirren war er solch eine Stütze und das wurde wirklich wichtig, als die Situation in Gewalt umschlug. Ich erinnere mich an meine Schwiegermutter. Sie besaß ein Auto und der Besitz eines Autos war etwas sehr Spezielles. Manchmal fuhr sie mit dem Auto in die Stadt und die Leute schrien sie an: ‚Capitalista‘. Sie fuhr einen FIAT600.

Es war eine sehr schwierige Welt und Victor Blanco wusste, wie er es richtig macht. Wissen Sie, es ergibt keinen Sinn, eine politische Position zu beziehen, A oder B, besonders, wenn sie Gast in einem Land sind, das gerade dabei ist, eine A oder B Angelegenheit für sich herauszufinden. Victor Blanco half uns, sozusagen, dass wir uns auf die Astronomie fokussierten. Wir hatten hier ein Wohnviertel. Wir wurden gut abgeschirmt und fühlten uns einigermaßen sicher.      

1973 kam Margaret Burbidge10  hierher, nach Tololo, um zu beobachten. Weil ich mit meinen Quasaren herumexperimentierte, unterstützte sie mich als wissenschaftliche Assistentin. Sie benutzte  Messinstrumente, die ihr neu waren und deshalb wusste ich für eine geraume Weile mehr, als sie. Aber das blieb nicht lange so. In der Astronomie wusste sie VIEL mehr als ich. Sie hatte VIEL mehr Erfahrung als ich. Als die Situation in Chile sich zuspitzte, nahm ich Margarets Angebot zum Royal Greenwich Observatory (RGO, Anm. d. Verf.) in Südwest-England zu gehen, mit Freude an. Ich konnte es kaum glauben. Als ich jünger war, wäre ich nie in die RGO aufgenommen worden. Ich nahm ein halbjähriges Sabbatjahr in Großbritannien. Die RGO zog aus London fort. Es gab dort etwas, das nannte sich Lichtverschmutzung. Südost-England war ein besserer Ort.

Arbeiten viele Frauen in der Astronomie?

Nein, damals nicht. Ich kannte Margaret Burbidge und Vera Rubin11. Frauen in der Astronomie – das ist noch ein langer Weg. Ich vergleiche es mit dem Engagement in der Lichtverschmutzung. Man denkt, man kommt voran, aber es ist dann doch ein langer Weg. Ich bedaure, dass sie nicht den Nobelpreis bekam. Ihre Mitarbeiter erhielten ihn, aber sie nicht. Die beiden Frauen hatten ein ungeheures Wissen in vielen Bereichen der Astronomie und ich habe viel von ihnen gelernt.

Als wir unseren Planetariumsvortrag für die Olbers-Gesellschaft vorbereiteten, studierte ich Ihr Curriculum Vitae. Sie sind einer der, oder besser gesagt, DER führende Wissenschaftler, der ernsthafte Bedenken zu unserem sorglosen Umgang mit künstlichem Licht, also Lichtver­schmutzung, weltweit äußert.

Was war der Auslöser, wenn ich so sagen darf, Ihre Bemühungen ‚das Licht‘ an sich zu studieren, zum Thema ‚Vermeidung von Lichtstreuung‘ umzulenken?

Ich meine, das Anliegen jedes Astronomen ist es, für die wissenschaftliche Forschung einen klaren Himmel zu haben. Aber nicht jeder Astronom steckt soviel Energie in diese Problemlösung und das in einem globalen Kontext, wie Sie es tun.

Von Victor Blanco und Dave Crawford, der Mitbegründer der International Dark Sky Association, lernte ich sehr viel. Auch gerade als ich in Tuscon am Kitt Peak arbeitete. Dave rief damals IDA ins Leben, nur ein paar Türen weiter. Obwohl ich am Fabry-Pérot-Interferometer arbeitete, meinem eigentlichen Arbeitsfeld, eignete ich mir bereits damals Wissen zu dem Thema an. Ich nutzte viele Gelegenheiten, Observatorien zu besuchen, z. B. an der mexikanischen Grenze. Dort war es richtig dunkel. Das hatte ich am Kitt Peak nicht erlebt und definitiv nicht in Großbritannien, aber es war auch nicht das beste weltweit. Mehr Erfahrungen sammelte ich auf Hawaii und den Kanaren.

Aber das Thema Lichtverschmutzung erreichte mich am intensivsten, als ich nach Chile, Tololo, kam und das Zodiakallicht sah und die Milchstraße in La Serena. Männer, wie Victor Blanco, waren sich der Notwendigkeit sehr wohl bewusst, dass etwas geschehen musste. Ich stand mit Dave Crawford in Kontakt und wurde allmählich in die IDA eingebunden. Ich war in einem Gremium und wurde auf alle erdenklichen Themen aufmerksam, die mit Lichtverschmutzung zu tun hatten. Später erfuhr ich von den Auswirkungen auf unsere Gesundheit und das war die eigentliche Initialzündung, denn ich hatte Kenntnisse aus meiner Zeit, als ich in der Krebsforschung tätig war. Ich sollte z. B. auf einer nationalen Medizinkonferenz zum Thema Astronomie referieren. Ich entschloss mich, ein wenig dreist zu sein und sprach über Lichtverschmutzung. Ich dachte, sie würden aufgebracht sein, aber sie beachteten mich nicht. Das war in Chile. In den USA war man sich dieses Problems sehr wohl bewusst. Viele kannten mich noch aus der Zeit, als ich im IDA Gremium arbeitete. Es ist auch gut, eine Tochter in einer Umweltorganisation in Großbritannien zu haben, dadurch hatte ich die Möglichkeit, dort mit Biologen zu sprechen. Ich weiß, als Vater ist man immer voreingenommen, aber sie ist richtig gut.

In einer Dokumentation sahen wir die Auswirkungen auf die Fauna, z. B. auf frisch geschlüpfte Meeresschildkröten.

Die Auswirkungen auf die Fauna sind erheblich. Wanderbewegungen von Vögeln sind davon beeinflusst und auch der Mensch ist davon betroffen. Es wird angenommen, dass die normale Melatoninproduktion im menschlichen Körper verringert wird. Schildkröten wandern in die falsche Richtung, angelockt durch die Beleuchtung der Stadt. Ich hatte davon schon vor zehn, fünfzehn Jahren gehört und konnte es selbst beobachten. Wir hatten in La Serena eine Bürgermeisterin, die es auf sich nahm, den Einsatz von schmalbandigem Natriumlicht vorzuschlagen. Wir hatten eine Testphase laufen. Aber wir mussten den Einsatz von Hochdruck-Natriumlampen hinnehmen, weil sie zuverlässiger sind. Es ist besser, Kompromisse zu machen, anstatt vehement zu protestieren. So können wir den Prozess zumindest verlangsamen. Mit dem Bevölkerungszuwachs in La Serena könnte die Zukunft der astronomischen Observationen gefährdet sein, vielleicht noch bevor das LSST fertiggestellt ist. Es musste also etwas unternommen werden. Deswegen sind Kompromisse gerechtfertigt.

Wäre es nicht auch sinnvoll, anstatt Natriumlampen durch weiße LEDs zu ersetzen, gelbe LEDS zu verwenden?   

Das machen wir bereits. Daran forschen wir. Wir haben gelbe LEDs gefunden mit rot und gelb und sehr geringem Blauanteil. Wir haben einen Kollegen, der vollzeit an dem Thema Lichtverschmutzung arbeitet. Es wird Versuchsreihen im Tal (Valle del Elquí, Anm. d. Verf.) geben, die Kosten werden kalkuliert. Wenn wir einen groben Fehler machen, werden die Maßnahmen danach, wohl nicht so gut werden, wie wir es erhoffen. Das ist also, was wir unternehmen, aber wir danken allen, die uns helfen, das Problem zu lösen. Vielleicht findet man es in Deutschland. Wir müssen sehr vorsichtig sein und nicht denken, wenn wir viele weiße LEDs einsetzen, sparen wir Geld und das muss gut für die Umwelt sein. Nein, das ist nicht, was wir wollen. Zuviel Licht ist abträglich für die menschliche Gesundheit und Wanderbewegungen der Vögel und vieles mehr.

Als ich zum ersten Mal versuchte, Lichtverschmutzung in Chile zu thematisieren, bekam ich folgende Antwort von den lokalen Behörden: ‚Hör zu, Gringo, wenn du originelle Beleuchtung haben willst, dann kauf sie selbst.‘ Sie wollten den Strand beleuchten, weil es Touristen hierher lockt. Die Argumente hießen: ‚Wir tragen Verantwortung für unsere Leute, wir brauchen Jobs. Hört ihr, ihr Astronomen, wir haben echte Arbeit zu leisten.‘ Daran glaubten sie. Somit war es unser Job,  das zu ändern und das war nicht trivial.

Eines Tages fuhr ich nach Vicuña und wir trafen dort  einige Leute. Zwei Monate später riefen sie mich an: ‚Sie arbeiten an diesem Lichtverschmutzungszeug. Wir würden gern helfen.‘ Ich war überrascht. Die Initiative kam auf mich zu. Ich wusste nicht genau, wie sie mir helfen wollten. Sie sagten, dass sie kaum finanzielle Mittel hätten und somit versuchte ich Geld für ihre Bemühungen aufzutreiben, aber Chile wurde damals finanziell nicht unterstützt. Ich wurde gewarnt, dass die Menschen dort vielleicht nur die Baupläne für das Observatorium haben wollen, aber sie würden niemals Geld hineinstecken. Also fuhr ich in das Tal und wir begannen unsere Gespräche. Ok, sagte ich, die USA sind reicher als Chile, aber wenn ihr die Hälfte der Mittel aufbringt, werde ich meine Verbindungen spielen lassen und die andere Hälfte auftreiben. Ich erkannte, dass die Menschen in Vicuña sich ernsthaft für dieses Projekt engagierten. Der Plan war, ein 8 inch Teleskop zu erwerben. Was damit gemacht werden sollte und wie hoch die Kosten sein würden, sollten die Leute in Vicuña selbst herausbekommen. Ich hätte ihnen Kontakte anbieten können, ich hatte schließlich viele Verbindungen, aber ich wollte sehen, ob sie es ernst meinten. Und sie taten es!

Ich hatte den Vorteil über meine Kontakte die Teile für das Teleskop zu erhalten, darin konnte ich trumpfen, aber sie hatten den Vorteil des Einflusses auf lokaler Ebene, einen Vorteil, den ich würde nie haben können – ich erinnere Sie an die Diskussionen in La Serena – und darin konnten sie trumpfen. So konnten wir zusammen arbeiten. Ich schickte einen Finanzierungsantrag zur National Science Foundation. Zu meiner großen Überraschung bekam ich bereits nach drei, vier Wochen eine Zusage anstatt nach einem halben Jahr oder so. Ich fuhr also nach Vicuña und sie sagten ‚Dieser Typ ist großartig.‘ Dabei hatte ich nur viel Glück gehabt.

Ich sagte ihnen, wenn ihr ein Amateurteleskop für die Öffentlichkeit haben wollt, dann macht es keinen Sinn, es auf den Marktplatz zu stellen, aber auch nicht 100 km nördlich von Vicuña, denn dann fährt keiner hin. Wir mussten also eine Alternative finden und das ist das erste touristische Observatorium Chiles (Mamalluca, eröffnet November 199812, Anm. d. Verf.). Ich orderte das Teleskop, eine große Kiste mit vielen Teleskopteilen kam dort an. Ich stellte es auf den Marktplatz von Vicuña. Sie wollten, dass ich es auspacke und zusammenbaue, aber ich sagte ihnen, dass es nicht mein Teleskop sei, und dann bauten sie es selbst zusammen. Sie bauten es auf dem Marktplatz zusammen.

‚Herzlichen Glückwunsch zum Bau eures Teleskops‘, sagte ich ihnen. Alles lief so wunderbar. Ich werde es nie vergessen. Eine Woche später trafen wir uns auf dem Marktplatz und da stand es, zusammengebaut, und wir sahen uns einige Planeten an. Da war eine ältere Dame und sie sah durch das Okular und sie war so fasziniert. Sie begann vor Freude zu weinen. Sie war ganz verzaubert. Das werde ich nie vergessen. Eine wundervolle Erfahrung.

Eine weitere Anfrage kam aus Andacollo (Die Initiative wurde im Jahr 2002 ins Leben gerufen13, Anm. d, Verf.). Die Bürgermeisterin, Marcelina Cortés, war sehr interessiert, aber sie erntete heftige Kritik, weil sie angeblich ihre Zeit und Geld, dass der Gemeinde zustand, für diesen Blödsinn, Sterne zu beobachten, ausgeben wollte. ‚Wir brauchen das Geld für reale Projekte. Wir müssen an die Leute denken. Wir sind Minenarbeiter, wenn du unsere Resourcen nicht in das Minengeschäft steckst, verdammt nochmal, dann sind unsere Leute arbeitslos.‘ Sie hatte einen verteufelt schweren Stand. In der Zwischenzeit hatte ich herausgefunden, dass der Präsident Chiles ein Amateurastronom war und er kam nach Andacollo und eröffnete das Observatorium (Collowara, Anm. d. Verf.), das in der Nähe war. Heute versteht jeder, dass es eine gute Idee war. Dies ist nur eine von vielen wundervollen Geschichten. Ich arbeite mit Schulen zusammen. An einer Schule gab es ein Umweltschutzprojekt, kreatives Recycling etc., also nicht nur Astronomie, und da war ein Junge, der ein ziemlich schlechtes soziales Umfeld hatte und sich unmöglich benahm, so hieß es, aber ein heller Kopf sein sollte. Er hat sich in das Thema Lichtverschmutzung eingearbeitet und einen großartigen Vortrag gehalten. Er soll so undiszipliniert gewesen sein, sagten mir seine Lehrer, und jetzt ist er ein Held. Es fing mit der Astronomie an.

Wenn wir Chilenen erklären, dass wir nach Chile wegen der Astronomie und der Astrofotografie reisen, sind sie erstaunt. Auch, dass wir Europäer diesen klaren Himmel nicht mehr haben.

Sie können sich vorstellen, wie die Leute reagierten, als ich das Projekt in Vicuña begann. Diese ideenreichen Menschen dort hatten die Vision, es auszuprobieren und investierten Gemeindegelder in ein verrücktes Projekt. Es ist nicht perfekt, aber es hat seine Auswirkungen. Es erschafft Jobs. Ich hatte eine ähnliche Diskussion mit einem französischen Lehrer, der fragte: ‚Was soll der ganze Quatsch? Was geht mich das an?‘ Aber jetzt kommen Menschen wie Sie hierher und zwar genau aus diesem Beweggrund.

Sie erzählten mir von den Sternenparks in Deutschland und dass Sie selbst seit Mai dieses Jahres Astrofotografie betreiben. Bitte seien Sie nicht zurückhaltend. Babak Tafreshi14 (der Gründer von The World at Night – TWAN –, Anm. d. Verf.) kannte niemand. Er ist ein außergewöhnlicher Fotograf und arbeitet für NatGeo (National Geographic, Anm. d. Verf.). Ich kannte ihn schon, als er noch unbekannt war. Er ist Iraner. Er ist hervorragend und ich hatte das Glück, in einer Schlüsselposition zu sein, so dass ich ihm helfen konnte und zwei Referenzschreiben verfasste, damit er den Job bei der National Geographic bekam. Jetzt erzählt er uns das eine oder andere. Er ist fantastisch. Es ist verblüffend, was daraus entstehen kann.

Auf der CTIO-website fand ich folgende Schlagzeile: ‘Chilean Astronomical Site Becomes World’s First International Dark Sky Sanctuary’ 15

Es heißt, dass AURA in Chile sich zu einem Langzeitprojekt verpflichtet, um den dunklen Himmel durch ein Lichtmanagement zusammen mit umfassender Bildung und Öffentlichkeitsarbeit zu schützen. Die Oficina de Protección de Calidad de los Cielos (OPCC) [Büro zum Schutz der Himmelsqualität, Anm. d. Verf.], ist ebenfalls beteiligt. Auf derselben Seite wird auch gesagt, dass die Ernennung zum ‚Dark Sky Sanctuary‘ nur der Beginn in dieser Region sei. In diesem Zusammenhang wird auch von Chiles ‚Dark Sky‘ als einer natürlichen Resource gesprochen.

Auf den ersten Blick scheinen die Astronomie und der Ökotourismus zwei wichtige wirtschaftliche Säulen zu sein. Sprechen wir aber über natürliche Ressourcen, dann stellt der Abbau von Rohstoffen wie Kupfer, Lithium oder Gold eine weitere Säule dar. Der Bergbau konzentriert sich hauptsächlich in der Region ‚Norte Grande‘ und umspannt die meisten Teile der Atacama. Als wir vor zwei Jahren auf Collowara waren, sahen wir auf der einen Seite in der Ferne das CTIO, SOAR und Gemini Sur. Als wir uns umdrehten, sahen wir die Kupfermine ‚La Mina de Carmen‘ der  kanadischen Firma Teck, die sich immer mehr Collowara zu nähern scheint.  

Wie glauben Sie, wird es möglich sein, astronomische Sanktuarien, wie das ‘Gabriela Mistral Dark Sky Sanctuary’ gegenüber dem Eindringen oder auch der Zerstörung durch den Bergbau zu schützen?

Das sind schwierige Fragen. Wir müssen große Vorsicht walten lassen, in der Art, wie wir damit umgehen. Das ist Ihnen klar und dass ist den meisten von uns klar. Der Bergbau ist viel wichtiger für Chile, als wir es im Moment sind. Nichtsdestoweniger gibt es auch eine andere Seite, die Umwelt zu verbessern und all diese Dinge, aber das hängt in erster Linie von den Chilenen ab. Wir müssen mit den Chilenen arbeiten und sie mit den Informationen versorgen, die sie brauchen, um ihre Entscheidungen zu  treffen. Ich kann ihnen nicht die Entscheidung abnehmen, aber was wir tun können, ist ihnen die beste Information zu geben und das mit Respekt. Die Menschen sind vom Bergbau abhängig, alles Mögliche hängt davon ab. Ohne den Bergbau werden sie leiden. Wir können nicht hier einfallen und ihnen sagen, wie die Dinge laufen sollen. Diese Haltung funktioniert nicht und sie tut niemandem gut. Und wenn es zu guter Letzt das Ende des Himmels bedeutet, dann haben wir eben verloren. So ist es dann. Wir müssen unser Bestes tun und das mit Respekt. Ich denke, etwas Besseres wird stattfinden. Es gibt Menschen, die von diesen Dingen viel mehr verstehen, als ich. Ich bin nicht in der Regierung. Ich denke, wir haben eine Chance. In Andacollo konnten wir das erst neulich erfahren. Vor nur einer Woche fuhr ich mit einer kleinen Gruppe von Vertretern der Gemeinde auf den Berg, so dass sie sehen konnten, wie sich die Situation für uns gestaltet. Dort gibt es ein Stadion mit äußerst heller Beleuchtung, die sie zu bestimmten Ereignissen anschalten. Wir wollten zumindest, dass sie sich unsere Belange anhören und verstehen, was uns Sorgen bereitet. Regen war angekündigt und deshalb konnten die eigentlich Verantwortlichen nicht kommen. Eine Regelung in der Gemeinde Andacollo besagt, dass bei Regen ein bestimmter Personenkreis vor Ort bleiben muss. Es kamen andere Repräsentanten aus Andacollo, die Mitbewohner anriefen, damit sie das Licht im Stadion anschalten. Als sie die Lichtflut sahen, waren sie geschockt und entschieden sofort, dass sie das ändern müssen. Und das war genau das, was wir wollten. Deshalb müssen wir geduldig sein und Überzeugungsarbeit leisten. Eine zeitlang wird es unbequem sein, aber sie wollen es ändern und wir werden ihnen dabei helfen. 

In dem chilenischen Online-Magazin ‚elobservatodo‘ fand ich eine ähnliche Situation, die das Valle del Elquí betrifft. Die australische Firma Hampton Mining plant, 12.000 ha nahe Vicuña aufzukaufen.16 Können Sie uns sagen, wie der Stand der Dinge ist?

Ich besitze keine politische Autorität hier. In der Vergangenheit hätte ich es besser beantworten können, aber ich bin jetzt vermehrt in den leisen Dingen unterwegs. Hier wird die Umwelt nicht beachtet und die lokale Bevölkerung beschwert sich darüber dermaßen, dass es jetzt in der Presse auftaucht.

Es sind meine Bosse und AURA, die sich darum kümmern. Ich kann Ihnen nur versichern, dass wir beunruhigt sind, aber wir müssen auf die richtige Art und Weise reagieren. Eine Überreaktion wird wenig hilfreich sein. Es ist richtig, dass Sie uns darauf ansprechen, und wir sind uns der Problematik bewusst, aber zum jetzigen Zeitpunkt kann ich Ihnen nicht mehr sagen.

Vor einigen Jahren machte ich den Vorstoß, die Expansionsrate La Serenas zu diskutieren. Sie ist gewaltig in dieser Gegend. Ich sagte vorhin, dass ich früher die Milchstraße vom Stadtzentrum aus sah. Das gehört heutzutage der Vergangenheit an, wie Sie sich vorstellen können. Wer würde heute noch die Milchstraße bemerken? Es ist eine Katastrophe, und so gesehen funktionieren unsere Bestrebungen gegen Lichtverschmutzung nicht. Bis zu einem bestimmten Grad stimmt das, aber es wäre deutlich schlimmer, hätten wir gar nichts unternommen.

In der gesamten Zeit wurden große Teleskope weiter im Norden gebaut. Deutschland ist mit der ESO vertreten. Dort ist ein guter Ort für Teleskope. Tatsächlich haben einige von uns die Standortaufnahme gemacht und haben Unterstützung gegeben. Irgendwo wird stehen, dass, man wird nicht sagen wer, aber es wird dort stehen, dass ESO und AURA in den Bereichen zusammengearbeitet haben und dass eine erneute Standortaufnahme für einen bestimmten Berg nicht notwendig wurde.17 Klasse, wir haben zusammen gearbeitet. Manchmal passiert es, es sollte öfter geschehen, es geschieht nicht oft genug. Einiges entwickelt sich in die positive Richtung.

Zum Abschluss unseres Interviews bitte ich Sie, kurz einige Fragen zu beantworten.

Die Sprache der Wissenschaft ist hauptsächlich die des Konjunktivs. Es wird gesagt ‚Wir nehmen an, dass …‘ ‚Es könnte sein, dass …‘.
Haben Sie manchmal den Wunsch, mehr den Indikativ benutzen zu können?
In welchem Bereich der Astronomie oder Astrophysik hätten Sie gern Ihre erste Antwort?

Oh wow, das ist schwierig. Wenn es etwas wäre, was der Menschheit auf diesem Planeten hülfe, das wäre ein guter erster Schritt. Mit Kindern können wir diesen Beitrag leisten und hoffen, dass sie weiser als wir sein werden und  es besser machen. Was können wir sonst machen. Unser Wissen ist begrenzt und die Lücken sind groß. Ich lerne immer mehr dazu und das genieße ich. Die Natur ist einfach wundervoll.

In unserer heutigen Welt sind Wissenschaftler mit ethischen Dilemmata konfrontiert.
Was meinen Sie, ist das größte?

Das ist schwierig zu beantworten. Die Wissenschaft wird immer für Gutes und für Böses benutzt werden. Ich persönlich habe sicherlich kein Interesse mehr an der Atomforschung. Ich wäre sicherlich nicht daran interessiert, die gewaltigste Explosion zu erzeugen oder dem beizuwohnen. Wir sollten weiser werden. Aber ich weiß nicht, wie wir das bewerkstelligen sollen. Ich ziehe es vor, positiv über diese Themen zu denken und manchmal treffe ich Menschen und erkenne, dass auch sie nicht die Antworten auf alle Fragen haben, aber sie versuchen, sie zu finden. Wir können alle etwas beisteuern und das ist motivierend. 

Wenn Sie nachts in den Sternenhimmel sehen, besonders hier in Chile, und Sie die Pracht der Milchstraße bewundern, was beeindruckt Sie am meisten aus der Sicht des Wissenschaftlers und aus Malcolms Sicht?

Oh, ich mag die Frage, weil ich Wissenschaftler bin. Ich versuche, Dinge zu machen, die Wissenschaft beinhalten und dank der Wissenschaft führe ich dieses Leben. In den Himmel zu schauen, ist ein Gefühl. Es geht dabei nicht nur um reine Logik, aber die Logik fließt auch zurück in das Gefühl. Sehe ich mir die Natur an, dann ist das inspirierend. Es schenkt mir Freude. Ich wünsche mir, es zu teilen. Es gibt so viele Menschen, die viel besser teilen können und ich versuche, mit ihnen zusammen zu arbeiten und manchmal kann ich ihnen helfen. Babak Tafreshi ist ein klassisches Beispiel. Er brauchte mich nicht, aber ich konnte ihm helfen. Er ist sehr gut, aber er konnte nicht vorankommen. Warum? Weil er aus dem Iran kam. Was zum Teufel, weiß er von Fotografie? und dann für die US National Geographic? Nein, nein, so was kann nicht gut gehen – wissen Sie, so wurde gedacht. Aber er hat es geschafft und darüber hinaus. Er inspiriert uns ständig.

Dr. Smith, wir danken Ihnen sehr herzlich für dieses ausführliche Gespräch. Bereits vor zwei Jahren durften wir viel von Ihnen lernen und wir bedanken uns auch, dass Sie uns erlauben, Ihr Portrait, das eines außergewöhnlichen Menschen und Kosmologen, noch mehr Menschen, unseren Lesern, näher zu bringen.

Was noch zu sagen wäre: Dr. Malcolm Smith gehörte zu dem Kommitee, dass das erste Treffen der von der UNESCO gesponserten ‚Starlight‘-Initiative18 organisierte. Die Frage ist, wie eine Nominierung Nordchiles als ein UNESCO Weltkulturerbe der Wissenschaft möglich gemacht werden kann. Die Ziele sind klar: der Schutz des Nachthimmels als Vermächtnis an die folgenden Generationen. Es gilt aber auch die wissenschaftlichen astronomischen Anlagen der ESO, die von Las Campanas und der AURA zu schützen, damit bodengebundene  leistungsfähige optische Teleskope uns auch in Zukunft Antworten auf die grundliegenden Fragen der Menschheit geben können. 

Wissenschaftler wie Dr. Malcolm Smith sind hartnäckige Wegbereiter und Verfechter unseres Welterbes auf unserem blauen Planeten mit einer ständig wachsenden Weltbevölkerung. Indem sie uns an den Ergebnissen ihrer Arbeit teilnehmen lassen, animieren sie uns geduldig zum Umdenken und setzen auf unsere Klugheit.

Konzeption, Durchführung und Auswertung des Interviews, Übersetzungen aus dem Englischen: Karin Cornelia Dörpmund – Fotos, fachwissenschaftliche Beratung und Redaktion: Lutz J. Dörpmund

Quellenverzeichnis:

  1. http://www.ctio.noao.edu/noao/node/1032
  2. AURA repräsentiert 40 USamerikanische Universitäten und vier internationale Partner, die cutting-edge, also innovative professionelle astronomische Einrichtungen betreiben. Dazu gehört das National Solar Observatory, das National Optical Astronomy Observatory, Gemini Observatory, das Large Scale Synoptic Telescope und das Space Telescope Science Institute. In Chile verwaltet AURA die Teleskopanlagendes Cerro Tololo, Gemini Sur, SOAR und das zukünftige LSST  unter einem Kooperationsvertrag mit der  National Science Foundation of the United States. Diese Teleskope stehen in einem fast unberührten 36.000 Hektar großen Areal im Valle del Elquí. AURA kaufte das Land in den frühen 1960ern von der chilenischen Regierung. Das Land darf nur zur astronomischen Forschung genutzt werden. Die sog. ‚natural darkness‘ konnte über Jahrzehnte erhalten werden. Zu Ehren der chilenischen Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral (1889-1957) wurde die Gegend um das Valle del Elquí “Gabriela Mistral Dark Sky Sanctuary” genannt. [http://www.darksky.org/chilean-astronomical-site-becomes-worlds-first-international-dark-sky-sanctuary/]
  3. https://www.darksky.org/
  4. https://www.noao.edu/news/2012/pr1202.php
  5. Das Fabry-Pérot-Interferometer, auch Pérot-Fabry-Interferometer, wurde 1897 von den französischen Physikern Charles Fabry und Alfred Pérot entwickelt. Es ist ein optischer Resonator, der aus zwei teildurchlässigen Spiegeln gebildet wird. Ist der Spiegelabstand unveränderbar (bspw. Glas mit aufgedampften Spiegeln), werden diese Aufbauten auch als Maßverkörperung benutzt und dann als Fabry-Pérot-Etalon bezeichnet. Ein eintreffender Lichtstrahl wird nur dann durch diesen Aufbau geleitet (transmittiert), wenn er dessen Resonanzbedingung erfüllt. Damit lässt sich das Fabry-Pérot-Interferometer u. a. als optischer Filter einsetzen, der aus einer breitbandigen Strahlung ein schmalbandiges Spektrum herausfiltert. Spiegelverschiebungen ermöglichen es darüber hinaus, die spektralen Eigenschaften der transmittierten Strahlung einzustellen.  (Quelle: wikipedia, abgerufen am: 4. November 2018)
  6. ‚Vermutlich bedeutet es, dass damals keiner mit örtlicher Auflösung gearbeitet hat. Lediglich eine Dimension wird aufgelöst.‘ (Quelle: e-mail von Carsten Reese, 20. Februar 2019)
  7. Benjamin Markarjan, (…) * 29. November 1913 in Schulawer, heute Schaumiani, Georgien; † 29. September 1985; (…) war ein armenischer Astrophysiker.
    Markarjan war seit dessen Gründung 1946 am Byurakan-Observatorium tätig und arbeitete an Theorien über die Sternentstehung, Galaxienhaufen und Superhaufen. Er beschäftigte sich allgemein mit Sternassoziationen und verfasste den ersten systematischen Katalog mit O-Assoziationen. Für diese Arbeiten erhielt er 1950 zusammen mit Viktor Hambarzumjan den Stalinpreis. In den 1960er Jahren beobachtete er intensiv eine Gruppe von Galaxien mit aktiven Kernen, die besonders helles, blaues Licht mit einem hohen UV-Kontinuum aus dem Zentrum abgeben (Seyfertgalaxien, Blasare und Quasare). Er fasste einige hundert dieser Objekte zu einem Katalog zusammen, der heute den Namen Markarjan-Katalog trägt und etwa 1500 Objekte umfasst. Die Galaxien werden heute als Markarian-Galaxien bezeichnet. In den 1970er Jahren beobachtete er mehrere Galaxien des Virgo-Galaxienhaufens, die den Namen Markarjansche Kette erhalten haben. (Quelle: wikipedia, abgerufen am: 4. November 2018 )
  8. „Schmalstes Prisma“ heißt, dass der benutzte Spalt sehr schmal war. Damit kommt wenig Licht an. Er hatte aber einen hochempfindlichen, feinkörnigen Film, womit er das ausgleichen konnte. (Quelle: e-mail von Carsten Reese, 20. Februar 2019)
  9. http://www.ctio.noao.edu/noao/content/Victor-Blanco
  10. Margaret Burbidge (geb. Eleanor Margaret Peachey) (* 12. August 1919 in Davenport, Greater Manchester) ist eine US-amerikanische Astrophysikerin britischer Herkunft. Sie war die erste weibliche Direktorin der Royal Greenwich Observatory und leistete unter anderem bedeutende Forschungsbeiträge über Quasare, Masse und Rotation von Galaxien und die stellare Kernfusion. (…) Von 1962 bis 1964 arbeitete Margaret Burbidge in der astronomischen Forschung an der University of California, San Diego (UCSD) und hatte dort anschließend eine Astronomie-Professur inne. 1972 unterbrach Burbidge diese Tätigkeit, um ein Jahr lang das Royal Greenwich Observatory zu leiten. Im Gegensatz zu männlichen Direktoren wurde ihr nicht gleichzeitig der Ehrentitel eines Astronomer Royal verliehen, was Burbidge als Diskriminierung wertete. Aus dem gleichen Grund lehnte sie 1972 den Annie-Jump-Cannon-Preis für Astronomie der American Astronomical Society (AAS) ab, der nur an Frauen verliehen wird. In der Folge richtete die AAS ein ständiges Komitee ein, das sich mit dem Status von Frauen in der Astronomie beschäftigte. 1976 wurde Burbidge für zwei Jahre Präsidentin der AAS.[1] (Quelle: wikipedia – aus: Biografie von Margaret Burbidge, britannica.com, abgerufen am 18. September 2012.)
  11. Vera Cooper Rubin (* 23. Juli 1928 in Philadelphia, Pennsylvania; † 25. Dezember 2016 in Princeton, New Jersey)[1] war eine US-amerikanische Astronomin, die sich vorwiegend mit der Erfassung der Verteilung der Dunklen Materie beschäftigte. (…) Besondere Aufmerksamkeit hatte Rubin der Rolle von Frauen in der Wissenschaft gewidmet. Ihr selbst war noch der Zugang zur Princeton University verweigert worden. (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Vera_Rubin; Geburts- und Karrieredaten nach American Men and Women of Science, Thomson Gale 2004)
  12. Mamalluca Observatory is located 9 kms. northwest of Vicuña, the observatory opened in November 1998, a project designed by the Municipality of Vicuña together with the Club of Amateur Astronomy (CASMIA) and sponsored by the Inter-American Observatory in Cerro Tololo. In its first stage of Mamalluca Observatory, (a total of 5) there is a 12-inch telescope donated by AURA. It includes CCD detectors for electronic photography, as well as computer equipment for data transfer. (https://www.astronomictourism.com/mamalluca-observatory.html; abgerufen am: 2. Dezember 2018)
  13. Bajo este escenario, la Municipalidad de Andacollo impulsando el desarrollo de la actividad turística en la comuna, el año 2002 postuló al Fondo Nacional de Desarrollo Regional (F.N.D.R.) el proyecto denominado “Construcción de Observatorio Astronómico – comuna de Andacollo” en conjunto con el Servicio Nacional de Turismo SERNATUR. (https://www.collowara.cl/nosotros/; abgerufen am: 2. Dezember 2018)
  14. http://www.twanight.org/newtwan/index.asp
  15. http://www.darksky.org/chilean-astronomical-site-becomes-worlds-first-international-dark-sky-sanctuary/
  16. http://valledeelqui.cl/menu2013.html
  17. ‘Until 2007, I was involved in negotiations with the Chilean Authorities regarding possible future sites in Northern Chile for the TMT all of which I had visited (and which included Cerro Armazones at 3,060m, which became the site that was recommended by the ESO Site Selection Advisory Committee for the 40m E-ELT; the SSAC noted that „For the sake of efficiency“, the sites – all in North and South America – preselected by the TMT site selection team from the US – „were not studied by the ESO team, as the TMT shared their data with the SSAC“.  Cerro Armazones was selected by ESO on 26th April 2010.  The TMT management showed greater interest in installation on Mauna Kea.’ (http://www.ctio.noao.edu/noao/node/1032)
  18. http://www.darkskiesawareness.org/files/FinalReportFuerteventuraSL.pdf

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